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Das Herz in der Finsternis: WAHALA von Robin Hinsch & die Debatten um das Lieferkettengesetz

Samstag, Dezember 11th, 2021


Die Autorin Marina Sammeck (M.A.) reist in ihrem Beitrag, auf der Suche nach dem Herz, in die Finsternis, beleuchtet das Lieferkettengesetz und rückt WAHALA, die fotografische Serie des gute aussichten 2020/2021 Preisträgers Robin Hinsch in unseren Fokus

Sind Unternehmen verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden, welche die in ihren Produktionsketten integrierten Hersteller an anderen Orten der Welt hervorbringen? Diese Frage wird derzeit im Rahmen der Debatte um das Lieferkettengesetz heiß diskutiert. Nachdem der Deutsche Bundestag bereits im Februar 2021 eine „Sorgfaltspflicht“ für deutsche Unternehmen auf den Weg brachte, legte das Europäische Parlament Mitte März 2021 einen noch umfassenderen Gesetzesentwurf vor.

Im Brennpunkt dieser Auseinandersetzung über Haftung und Verantwortlichkeit internationaler Konzerne verorten sich die Bilder der Serie WAHALA von Robin Hinsch. Mit seinen in kühles, dunkles Licht getauchten Fotografien, für die er weltweit an Förderorte fossiler Brennstoffe reiste, dokumentiert der Hamburger Fotograf auch die seit Jahrzehnten andauernde Umweltverpestung des Niger Deltas durch das aus maroden Pipelines austretende Öl. Für die Folgen dieser Havarie während der Jahre 2004 und 2005 ist der britisch-niederländische Ölkonzern Shell jüngst in einem wegweisenden Urteil vom Berufungsgericht in Den Haag als verantwortlich befunden worden. Wie viele international tätige Unternehmen mit Hauptsitz in einem europäischen Staat argumentierte Shell bisher, die kritischen Bedingungen der Produktion seien der undurchsichtigen Lage in den meist ärmeren und geringer entwickelten Ursprungsländern geschuldet. Eine Haltung, die sich mit der Entscheidung in Den Haag, Shell hätte eine grundsätzliche Pflicht, die Leitungen in Stand zu halten, nun nicht mehr so einfach vertreten lässt.


Natural Gas Flaring Site in Ughelli, Niger Delta, Nigeria

Robin Hinschs Fotografien aus dem Niger Delta nehmen in gewisser Weise die Debatte um das Lieferkettengesetz vorweg, indem sie die Frage nach der Verantwortung von Unternehmen für die Vorgänge innerhalb ihrer gesamten Produktionskette in eindrucksvolle Bilder bannen. Die surreal anmutenden Aufnahmen unwirklicher Landschaften und ihrer darin wie Außerirdische wirkender Bewohner schaffen bestechende Momente, die ihr Grauen erst allmählich preisgeben: Abgestorbene Natur, vergiftete, leblose Wasserläufe, verrottende Tanks und Milliarden Tonnen von Gas abbrennende Flammen. Daneben trocknen Frauen Maniok und kehren später in als Hütten dienende Bretterverschläge zurück – solche Aufnahmen erzählen von einer Existenz am Abgrund. Sie nehmen die Betrachter mit in eine scheinbar ferne und fremdartige Welt, die dann doch immer näher rückt mit der Aufdeckung von Umweltzerstörungen und dem Leid der in diesem Umfeld lebenden Menschen, die durch grobe Vernachlässigung allseits bekannter Unternehmen im Namen der Herstellung unserer Alltagsprodukten begangen werden.


One of the community eldest is showing me around the polluted areas in B-Dere. Niger Delta, Nigeria

Unter dem etwas euphemistisch klingenden Begriff der „Sorgfaltspflicht“ erfasst, sollen diese Vergehen nun zukünftig gesetzlich verhindert und sanktioniert werden. In der politischen und medialen Diskussion treffen dabei immer wieder die gleichen Akteure aufeinander: Auf der einen Seite die sich unter Generalverdacht gestellt fühlenden Unternehmerverbände, die übermäßige Bürokratie und Wettbewerbsnachteile fürchten, auf der anderen Seite die eine Prinzipienoffensive führenden Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, die einen erbitterten Kampf um das Für und Wider eines die Unternehmen weitreichend in die Pflicht nehmenden Gesetzes führen. Die Einbeziehung der Konsumenten und deren Mitverantwortung für solche Missstände hingegen bleibt häufig außen vor.


A young woman at a gas flaring site in Ughelli. They are using the heat of the flames to dry Kpogavi some kind of chip consisting of manioc flour

Robin Hinschs apokalyptische Bilder finden eine direkte Sprache für diese komplexen und für den Laien oft schwer durchschaubaren rechtlichen Streitpunkte, indem sie der Ausbeutung ein gleichzeitig täuschend anziehendes wie auch ein authentisches, unverkennbar tragisches Gesicht verleihen. Zwischen der Zerstörung von Natur und Gewalt gegen den Menschen gibt es keinen prinzipiellen Unterschied. Auch diese still angemahnte Erkenntnis macht die Werke so wertvoll für eine Reflektion der gegenwärtigen Auseinandersetzung über das Lieferkettengesetz.


Robin Hinsch bei der Dokumentation seiner Serie WAHALA, die ab dem 10. Februar 2022 bei gute aussichten – junge deutsche fotografie 2020/2021 im Haus der Photographie, Deichtorhallen Hamburg zu sehen ist

Die Umweltorganisation Greenpeace hatte erst kürzlich auf ganz ähnliche Bilder gesetzt, indem sie vor der Niederlassung des Nahrungsmittelkonzerns Mondelez in Wien einen abgebrannten Regenwald installierte – ein PR-wirksamer Schockeffekt, der schnell verraucht war. Robin Hinschs Fotografien aus WAHALA hingegen, in denen der Name „Shell“ sozusagen als Begleittext mitläuft, sind nicht Teil einer werbewirksamen Kampagne gegen die fraglichen Konzerne. Als Kunstwerke haben sie die Kraft und den Wert, immer wieder aufs Neue den Finger in die Wunde zu legen. Dabei vollbringen sie weit mehr, als offen anzuklagen: Im visuellen wie inhaltlichen Tiefgang rühren sie an jene Fragen, die auf uns als Endverbraucher dieser Güter weisen und appellieren an unsere individuelle wie kollektive Sorgfaltspflicht.

Marina Sammeck

Die Ausstellung gute aussichten – junge deutsche fotografie // – new german photography 2020/2021 wird von Freitag 11. Februar – Sonntag 1. Mai 2022 im PHOXXI, dem temporären Haus der Photographie, Deichtorhallen Hamburg zu sehen sein. Die Eröffnung findet am Donnerstag, 10. Februar 2022 statt.

gute aussichten 2020/2021: Die acht Preisträgerinnen und ihre sieben Arbeiten –-> Robin Hinsch und seine Serie Wahala

Mittwoch, Januar 13th, 2021

Ja, der Gossip spricht sich weiter herum: Es gibt 8 Preisträgerinnen und 7 Arbeiten die von der namhaft besetzen Jury für gute aussichten – junge deutsche fotografie // – new german photography 2020/2021 ausgesucht wurden.

Hier sehen wir ein Motiv von Robin Hinsch aus seiner Serie Wahala, wie es sich auf dem Cover des neuen gute aussichten 2020/20201 Special-Heftes machen würde, an dem wir gerade arbeiten. Was nicht heisst, dass diese Preisträger Arbeit am Ende auch das Titelbild zieren wird…
Erste Informationen über die ausgezeichneten Arbeiten und die Preisträger*innen finden Sie hier. Oder morgen dann hier …