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2005/06 TOBIAS HÜBELIconIconIconIconIcon


Steady State

3 Farbdiapositive in Leuchtkästen, 40 cm x 60 cm

2005, Fachhochschule Bielefeld / Professor Emanuel Raab

 

Unter einem Fließgleichgewicht (Steady State) versteht man einen stationären Zustand, bei dem fortgesetzt Substanzen in ein System einströmen und Reaktionsprodukte herausgeschleust werden.

Tobias Hübel legt seiner Arbeit eine Art wissenschaftliches Ordnungsprinzip zugrunde, das die strukturelle Grundlage für seine künstlerischen Transformationen bildet. Dabei gilt sein Augenmerk dem Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Objektivität und unserer, durch Emotionalität geprägten, Daseinserfahrung. So unterstreicht in ‚Steady State’ die Präsentation in Leuchtkästen den objekthaften Charakter, der die fotografische Dimension zurücktreten lässt. In der Tat werden die Bildkonstrukte zunächst als reale Modelle inklusive des Bildraums erstellt, fotografiert und dann ein weiteres Mal bearbeitet, was eine hyperrealistische Bildwirkung erzeugt.

Die Bildobjekte werden dabei als metaphorische Visualisierung von geformter Natur, Mensch und Geist eingesetzt und repräsentieren archäologische Fundstücke der Gegenwart als Hinterlassenschaft einer Epoche in einem fiktiven Museum. In der künstlerisch-subjektiven Festschreibung eines Status quo ist impliziert die ebenfalls fiktive Frage des quo vadis?, kann der Betrachter doch gleichzeitig eine rück- und eine vorwärts schauende Haltung einnehmen. Das Wohin versinnbildlicht Hübel im letzten Motiv der Reihe, das keine erkennbare Form, sondern eher eine planetar anmutende Fläche zeigt. Dieses Bildobjekt kann als die geistige Dimension der Gesellschaft gedeutet werden, als jener Überbau, der menschliches Handeln motiviert und bestimmt. Da Zukunft ohne Herkunft nicht wirklich möglich scheint, fasst das zentrale Motiv – ein mit Graffitis überwucherter Container – alle lebensweltlichen Aspekte, die symbolisch in seinem Innern schlummern. Dessen ‚gezeichnetes’ Äußeres dient als Verweis auf den historisch-gesellschaftlichen Kontext, in dem der gedachte Inhalt zu verorten ist. Die Verwendung von Graffitis erlaubt einerseits die Deutung einer vollständigen Auflösung der Zeichen, einer Sinnentleerung, wie sie der französische Soziologe und Medientheoretiker Jean Baudrillard (*1929) in seinem Essay ‚Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen’ beschreibt und auf den sich Tobias Hübel nach eigener Aussage bezieht. Dies würde, auf den inneren Zustand der Gesellschaft angewendet, bedeuten, dass ein verbindliches Sprach- und damit Wertesystem in der Auflösung begriffen ist. Andererseits können diese Zeichen als Hinweis auf die Pluralität der modernen Gesellschaft gewertet werden, in der es eine Vielzahl von Szenen gibt, die in eigenen visuellen wie lexikalischen Codes kommunizieren, deren Bedeutung der Allgemeinheit nicht bekannt sind.

Als drittes Motiv tritt die Natur als vom Menschen geformte Landschaft hinzu. Die zivilisatorische Aneignung von natürlichen Ressourcen ist geprägt von Verwertung und damit auch Verfälschung. Ein Zustand-an-Sich hingegen existiert nur noch als imaginäres Suchbild. In der Realität unterwerfen wir alles unserem Willen – ob zum Progressiven oder Degressiven, zum Konstruktiven oder Destruktiven. Darüber hinaus kann der Baum auch als symbolischer Ursprungsort unserer Herkunft gelten, im Sinne eines zivilisatorischen Ahnenbaums, als Lebensbaum und postuliert als solcher auch die Frage des Woher?

Beantwortet werden diese Fragen nicht. ‚Steady State’ ist vielmehr ein Kondensat semantischer Zeichen über den Ist-Zustand unserer Zivilisation. Und es ergeht einem ähnlich, wie einem Archäologen, der aus Splittern und Bruchstücken ein Gefäß zusammensetzt, das sich irgendwann zwar zu einem Ganzen formt, aber mit Lücken.