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Die Wand (und der Raum) formiert sich, wenn Nicolas Wollnik hängt
Verflucht komplexe Nagelei für "a2+b2=c2" von Tilman Peschel
Jörg Obernolte "integriert" seine Arbeit in das vorhandene Regal ...
... und Delia Kellers "Hotel Roma" direkt neben dem "besetzten" Regal
Das Foto des Fotografen im Regal: Jörg Obernoltes Jugenportrait
Belaid le Mharchis "Passage" trifft auf Tobias Hübels "Schäferhund"
Schweine im Weltall? Oder zwischen "Gewaltenteilung" und "Formation"?
Die Spuren des Propheten führen bis zur Unfallaufnahme
Ein Paar "Gewaltenteilung", eine "Formation" und zwei Regale im Raum
Gregor Jansen, stellvertretender Direktor des zkm, eröffnet die Ausstellung
Die Autorin (r.) des Beitrages, bei eher ungewöhnlicher Lektüre
Alle Fotos auf dieser Seite sind von Bianca Gutberlet- vielen Dank Bianca!

Die "gute aussichten" Auswahl im zkm, Karlsruhe, im Detail vorgestellt

 

Eine Auswahl von 11 "gute aussichten" - Fotograf/inn/en der Jahre 2004-2008 ist mit neuen Arbeiten bis zum 12. Oktober 2008 im zkm, Karlsruhe, innerhalb der Ausstellung "Vertrautes Terrain" im Resonanzraum zu Gast. Die Initiatorin von "gute aussichten", Josefine Raab stellt die jungen Talente und ihre Werke hier vor.

 

"gute aussichten – junge deutsche fotografie" als (Un-) Vertrautes Terrain

 

Die Einladung zu "Vertrautes Terrain – aktuelle Kunst" in & über Deutschland kam überraschend: Bislang hatte uns noch keine namhafte Institution in Deutschland gebeten, aus allen bisherigen Gewinnern, die wir jedes Jahr in verschiedenen Museen und Kulturinstituten im In- und Ausland vorstellen, einen dezidierten Ausstellungsbeitrag zusammenzustellen. Mit der Fotografin Margret Hoppe, dem Künstlerpaar Catrin Altenbrandt und Adrian Niessler, Claudia Christoffel und Nadine Fraczkowski sind in der Ausstellung bereits fünf Künstler vertreten, die zu dem Kreis der Preisträger des bundesweiten Wettbewerbs "gute aussichten – junge deutsche fotografie" zählen.

Zum letzten Szenenwechsel im Resonanzraum treffen nun unter dem Titel "Regal Unregal & gute aussichten – junge deutsche fotografie" aktuelle Arbeiten von Bianca Gutberlet, Christian Hörder, Tobias Hübel, Vanessa Jack, Delia Keller, Tamara Lorenz, Belaid le Mharchi, Tilman Peschel, Jörg Obernolte, Martin Willner und Nicolas Wollnik auf die ausgewählten Regalobjekte. Entstanden ist aus dieser Konstellation ein Zusammenspiel mit kontrapunktischen Akzenten.

Das Mit- und Gegeneinander von Fotografie und Künstlerobjekt findet in der künstlerischen Übernahme des Regals durch Gegenstände aus dem privaten Fundus von Jörg Obernolte einen gelungenen Höhepunkt. Die einzig sichtbare Fotografie des Fotografen Obernolte ist ein Jugendportrait, das nicht aus seiner eigenen Kamera stammt. Andere persönliche Erinnerungsstücke wie eine alte Plüschkatze oder ein Miniventilator verwandeln das Kunstregal mit einem Augenzwinkern wieder zurück in einen Gebrauchsgegenstand.

Etwas geordneter geht es in Tamara Lorenz "Gewaltenteilung" zu. Aus dem ursprünglichen Triptychon wurde im Resonanzraum ein Paar – beides kann man im Hinblick auf die Teilung von Gewalt sofort in diverse politische, intellektuelle oder gesellschaftliche Zusammenhänge denken. Motivisch zitiert die Künstlerin die radikale geometrische Abstraktion wie sie von den Künstlern der konstruktivistischen und suprematistischen Bewegungen des vorigen Jahrhunderts praktiziert wurden. Indem Tamara Lorenz ihre Bildobjekte zunächst selbst baut und diese dann ins Bild bannt, fügt sie ihrer inhaltlichen wie formalen Reflektion en passant ein performatives Element hinzu.

Ebenso hintergründig wie vielsinnig agiert Tilman Peschel in seiner Arbeit "a2+b2=c2". In klaustrophobischen und mit allerlei Verspannungen versehenen Interieurs inszeniert sich der Künstler in absurden Körperhaltungen. So sitzt er wie eine Spinne im Netz, verhakt in aberwitzige Positionen, bei denen sowohl das Hinein- wie das Herauskommen nahezu unmöglich scheint. Die kleinen Tableaus verstärken den Charakter eines im Zimmerformat inszenierten Theaterstücks. Der Künstler agiert als Regisseur und Protagonist zugleich, der in einer Performance unter Ausschluss der Öffentlichkeit allerlei ernsthaften Schabernack mit sich und dem Betrachter treibt.

Deutlich kritisch, aber erst auf den zweiten Blick wahrnehmbar, nimmt Bianca Gutberlet in ihrer Serie "Auf den Spuren des Propheten" Verkehrswege oder Industriestandorte im Osten Deutschlands ins Visier. Unter postkartenblauem Himmel dehnen sich die weithin sichtbaren Zeichen von Mobilität und Wirtschaftskraft im Stil ostdeutscher Propaganda-Fotografie und künden – versehen mit allerlei Fragezeichen – von sorgenfreier Zukunft und freier Fahrt für freie Bürger.

Eine gänzlich subjektive Raumerforschung vollzieht Nicolas Wollnik mit Arbeiten aus seiner Serie "Formation". Bereits in einem früheren Werkkomplex hatte er anhand von Zeichnungen, Notizen und Fotografien eine, einzig in seiner Erinnerung existierende, emotionale Kartografie von Räumen erstellt. Auch in Formation sind die Ausgangspunkte reale Orte, deren Gegenständlichkeit Wollnik jedoch auf Teilaspekte reduziert und mit strukturellen Formelementen überlagert. Auf diese Weise entsteht eine eigene, abstrahierte Bildwirklichkeit, die den ursprünglichen Ort nur noch entfernt erinnert.

Ganz der Wirklichkeit hingegen widmet sich Belaid le Mharchi in seiner Fotoarbeit "Passage". Seine Aufnahmen entstanden nachts ohne zusätzliche Lichtquelle in einer Straße am Berliner Bahnhof Zoo. Im Fokus seiner Kamera sind Menschen im Transit quer durch alle Bevölkerungsschichten – Passanten und Reisende ebenso wie Alkohol- und Drogenabhängige, Prostituierte und Obdachlose.

Christian Hörder treibt in seiner sechsteiligen Serie "ohne Titel" ein verwirrendes Vexierspiel zwischen Ein- und Aussichten ineinander gelagerter Räume. Der Blick des Fotografen ist in eine nächtlich beleuchtete Architektur gerichtet, die den Betrachter völlig im Unklaren darüber lässt, inwieweit sowohl der Standort der Kamera als auch der ins Bild gefasste Raum real, gespiegelt oder montiert sind.

In "Hotel Roma" inszeniert sich Delia Keller in einem nicht näher bestimmbaren Interieur. Ihre Person verwandelt sich dabei in eine Figur, deren Gesicht dem Betrachter stets abgewandt bleibt. Die Fotografin betreibt hier, wie bereits in anderen Serien, ein Doppelspiel zwischen augenscheinlicher Sichtbarkeit und gleichzeitiger Abwesenheit. Die Figur wird gleichsam zum Schlüssel zu einer inne liegenden Bildwirklichkeit, die sich im Blick aus dem Fenster beziehungsweise hinter der rätselhaften Doppelung verbirgt.

Einen ebenso verrätselten Blick wirft Tobias Hübel auf zunächst unscheinbare Gegenstände. Indem er diese vereinzelt und vor Schwarz stellt, erlangen die Objekte eine nahezu geheimnisvolle Aura, die weit über den Bildgegenstand hinausweist.

Vanessa Jack praktiziert in ihrer "Unfallaufnahme" die Zersplitterung des Bildes in einzelne Teile, die sie anschließend wieder manuell zu einem Ganzen zusammenfügt, in dem sich verschiedene inhaltliche wie zeitliche Ebenen überlagern.

Martin Willner hinterfragt in seiner Videoarbeit "Terror Terra Errata" den wahren Informationsgehalt medialer Bilder und Nachrichten und verweist auf die Steuerbarkeit kollektiver Wahrnehmung im Kontext politischer Ereignisse.

In der Summe werfen die 11 fotografischen Positionen ein Schlaglicht auf die vielfältigen stilistischen, formalen und inhaltlichen Ansätze junger deutscher Fotografie, die sich längst keiner eindeutigen Bildsprache mehr zuordnen lässt. Die Grenzen des Mediums werden erforscht und bis ans Äußerste gedehnt, künstlerische Anleihen bei allen Genres und Gattungen genommen. Deutsche Fotografie ist im internationalen Kunstbetrieb ein anerkanntes Markenzeichen. Der talentierte Nachwuchs hat gute Chancen, im Lauf der kommenden Jahre seine eigenen Wegmarken zu setzen.

Josefine Raab

 

Weitere Informationen zum "Vertrauten Terrain" gibt es hier.

Weitere Informationen zur "gute aussichten" Ausstellung im zkm finden Sie auf unserer Website hier und hier.